Montag, 27. Juni 2016

Fahrwerkseinstellungen – Ganz einfach oder?

 „Ich habe das perfekte Setup für mein Rad gefunden, das geht überall!“
„Du musst den Rebound viel schneller fahren, dann wirst du deutlich schneller sein!“
„Ach mir ist das egal, ich habe das einmal das Grundsetup eingestellt und so gelassen.“
„Ich habe mir mal ein Worldcup Setup eingestellt…ist wirklich gut so, echt jetzt.“


Wer hat hier Recht? Jeder? Oder keiner? Die Antwort liegt irgendwo dazwischen. Eins kann ich jedoch mit Sicherheit sagen, auch wenn es ernüchternd klingt: Es gibt kein perfektes Setup für eine ganze Strecke, sondern höchstens für eine bestimmte Fahrsituation oder eine bestimmte Stelle. Der Rest ist ein Kompromiss, und zwar immer. Es gilt, sich diesem Schritt für Schritt anzunähern. An einem Downhillrad setzt sich der Grip aus dem Reifen, dem Fahrwerk und dem Fahrer zusammen. Ich möchte nochmal betonen, dass ich bis jetzt keinen Sinn gesehen habe, deutlich unter 1,8bar oder über 2,2 bar zu fahren (ganz normaler Downhill-Drahtreifen mit 130-200g Schläuchen, Abweichung bei Tubeless/Pro-Core selbstverständlich vorhanden). Wenn man als Fahrer halbwegs versiert ist und weiß wie man sich auf dem Rad bewegen muss/kann und seine ergonomisch günstigste Position gefunden hat, dann bleiben irgendwann fast nur noch die Fahrwerkseinstellungen übrig.

Der erste wirklich wichtige Punkt, um langsam erspüren zu können was das Rad unter einem da nun so macht ist folgender: Die Unterscheidung zwischen Federung und Dämpfung. Und das jederzeit. Doch nun kann man wirklich einfach mal dem Hersteller vertrauen. Sätze wie „ich fahr viel lieber etwas straffer“ habe ich schon öfter gehört, allerdings bedeutet das für die meisten dass man einfach eine deutlich härtere Feder einbaut. Natürlich ist es härter und straffer, aber man nutzt vor allem nicht mehr den gesamten Federweg. Und wozu hat man jetzt meist mehr als 200mm am Heck und eigentlich immer so viel an der Front? Es gab da bei mtb-news einen höchst interessanten Test eines YT Tues 2.0 in Whistler mit einem Fahrer, der definitiv lieber fährt als schraubt und seine Fahrwerksphilosophie dogmatisch an jedem Rad in gleicher Art durchzusetzen versucht, ungeachtet deren Sinnlosigkeit. Das Ergebnis daraus war eine hitzige Diskussion, bei dem viele Fahrer ebenfalls zeigten, wie wenig sie sich an die Herstellerangaben gehalten haben und dennoch höchst unzufrieden mit dem Fahrwerk waren, vor allem der Dämpfer war bei den meisten `Schuld´. Sogar die Köpfe von YT selbst schritten bei der Diskussion ein und mussten dabei viele Punkte klarstellen. Ist das denn jetzt wirklich alles so kompliziert?  Der Schlüssel zu einem aktiven Fahrwerk, welches den ganzen Federweg nutzt liegt in der Dämpfung. Mein Tipp: Stellt euch ganz penibel den SAG (=Negativfederweg) an der Gabel und am Dämpfer ein und seid vor allem so schwer wie ihr es auf der Strecke seid, sprich mit allen Protektoren, Helm und ggf. einem Rucksack. Macht mehrere Messungen, seid sehr genau dabei und notiert euch die Werte. Überprüft den Wert mit der Herstellerangabe und passt die Federhärte dementsprechend an (bei leichter Abweichung Vorspannung der Feder, bei größerer Federwechsel bzw. Anpassung des Luftdrucks).

Wenn man nun in der Dämpfung Eindrücke `erfahren´ möchte, muss man ausprobieren und testen. Doch das funktioniert nicht, indem man wild alle Knöpfe dreht und darauf hofft dass es irgendwann einmal passen könnte. Geht vom Grundsetup des Herstellers aus und fahrt ein paar Mal damit. Notiert euch wenn nötig in Form von Adjektiven die Fahreindrücke. Und dann kann man anfangen, einen Wert zu verändern, alle anderen hingegen gleich zu lassen. Und was verändert so eine Low Speed Compression jetzt? Nehmt euch eine bekannte und recht einfache Strecke, dreht das Einstellrädchen mal komplett zu und fahrt damit, danach komplett offen. Unterschied bemerkt?

Trotzdem geht’s nach richtigem Sag erstmal beim Rebound weiter. Zu Beginn sollte man versuchen, Front und Heck harmonisch abzustimmen. Eine schnell ausfedernde Gabel lässt das Rad zwar gut am Boden kleben und man steht insgesamt nicht zu sehr im Federweg, doch wenn sie zu schnell ist fängt die Front an unruhig zu werden und das Vorderrad beginnt zu tänzeln. Bei einer sehr langsamen Einstellung hingegen hat man trotz viel Grip das Gefühl, permanent Geschwindigkeit zu verlieren und immer tiefer in den Federweg zu fahren. Am Dämpfer merkt man den Rebound meistens beim Absprung. In einer sehr langsamen Einstellung fühlt sich das Rad sehr träge an und man ist immer sehr hecklastig in der Luft. Ist der Rebound hingegen offen oder nah daran, wird der Hinterbau zum Katapult und man hat alle Mühe nicht `nosie´ zu landen oder gar über den Lenker zu gehen. Dazu ein paar Beispiele. Viele kennen die Fest Series rund um Nico Vink, Andreu Lacondeguy, Kurt Sorge und so weiter. Habt ihr euch mal genau angeschaut, wie die Jungs über die mehr als 20m großen Doubles fliegen? Die Sache ist so eindrucksvoll dass man kaum anfangen möchte groß zu analysieren. Was man jedoch dabei sieht ist folgendes: Die Fahrer kommen mit einem riesigen Tempo auf die Sprünge zu und positionieren in der ersten Hälfte der Flugkurve das Rad für die Landung. Dies machen sie sehr auf das Hinterrad verlagert. Am Anfang sind nicht beide Räder in der Horizontale, sondern das hintere Rad hängt stark herunter. Erst zum Schluss wird das Rad nach vorn gedrückt und die Landung auf beiden Rädern gleichzeitig realisiert. Das geht nur mit einem recht langsamen Rebound im Heck. Bei einer zu schnellen Einstellung würden die Fahrer viel früher in den Bereich kommen, dass das Vorderrad tiefer steht als Hinterrad und man `nosie´ in der Luft kommt. Diesen Zustand kann man im Gegensatz zu dem anderen kaum noch abändern. In diesem Fall ist die langsamere Einstellung viel sicherer und findet deshalb dort Anwendung. So waghalsig das sein mag, ohne Sinn und Verstand gehen die Jungs nicht ans Werk.

Kurze Erklärung dazu, weil es auch dort immer Missverständnisse gibt und viele Leute, die es sich nicht richtig merken können: Zugstufe (=Rebound) offen bedeutet, dass die Einfedergeschwindigkeit der Ausfedergeschwindigkeit entspricht, es findet keine Dämpfung statt. Das ist also die schnellstmögliche Einstellung. Ist die Zugstufe geschlossen, also maximale Dämpfung, federt der Dämpfer am langsamsten aus. Das passiert, wenn man in die „+“-Richtung dreht.

Ein weiteres Beispiel kommt aus dem World Cup Downhill.  Quelle dieser Infos ist der Bericht auf mtb-news.de über die Bikes der Worldcup Fahrer und der Test auf der Strecke in Leogang. Nach den ersten Trainings kommen die meisten Fahrer direkt zu ihren Mechanikern der jeweiligen Fahrwerkshersteller und tragen ihre Änderungswünsche vor. Nicht jeder kann sehr detailliert schildern, was genau er sich wünscht. Doch die meisten Mechaniker kennen ihre Pappenheimer und wissen die Informationen richtig zu interpretieren. Nun aber zu dem eigentlichen Beispiel. Die recht schnelle `Bikepark`-Strecke erfordert in zahlreichen Wurzel- und Highspeed Passagen eine sehr schnelle Zugstufe, doch einige sehr große Sprünge mit recht steilen Absprüngen veranlasste die Fahrer dazu, die Zugstufe erheblich langsamer zu fahren um dort sicher springen zu können. Die schlechtere Federwegsrückgewinnung und das damit verbundene geringere Tempo in vielen anderen Streckenteilen wurde bewusst in Kauf genommen! Sicherlich hat jeder Fahrer dort für sich seine Vorlieben, doch diese Tendenz war bei allen Fahrern deutlich zu erkennen. `So schnell wie möglich, so langsam wie nötig´ findet in beiden Beispielen Anwendung und kann durchaus als Grundregel für die Einstellung der Zugstufe angenommen werden.

Wenn ihr eine sichere Einstellung gefunden habt, könnt ihr euch der Druckstufe annehmen. Die meisten Gabeln und Dämpfer haben nochmal eine Unterteilung in Low- und Highspeed Druckstufe. Was genau das in der Praxis bedeutet versuche ich mit vielen Adjektiven zu untermauern. Zu beiden Druckstufeneinstellungen ist zu sagen, dass man diese immer im Verhältnis einstellen sollte. Damit meine ich, dass es kein Sinn macht, beide Hebel immer gleich viel zu verstellen, denn dadurch `verschlechtert´ man im Grunde genommen nur das Ansprechverhalten und die Funktion des Federelements. Die Lowspeed Compression (=LSC) bemerkt man am deutlichsten vorn wie hinten in schnellen Anliegern. Mit einer offenen LSC im Dämpfer fühlt es sich bei einer sehr schnell gefahrenen Steilkurve an, als hätte man einen platten Hinterreifen. Die ganze Energie versackt im Federelement und das Tempo nimmt dadurch ab. Gleiches gilt für die Gabel. Sie taucht weg, wenn man sehr frontlastig fährt und es kann sein, dass man zu rutschen beginnt. Meistens geht man aber automatisch nach hinten und verlagert die Situation dann auf den Dämpfer. Das kann zu einer falschen Position auf dem Rad führen und zu deutlich weniger Tempo! In gewisser Weise muss also auch diese Einstellung etwas harmonisch sein und kann erst später auf die Vorlieben des Fahrers angepasst werden. Je höher der Kurvenspeed ist, desto höher muss auch die LSC sein um den `Gegendruck´ gewährleisten zu können. Bei etwas mehr LSC in der Gabel taucht sie beim Absprung weniger weg und es fühlt sich insgesamt ein wenig kontrollierter an. Beim Bikefestival in Willingen im Jahr 2014 fuhr ich ein 12,95kg leichtes Alutech Sennes FR mit 180mm an der Front und 200mm am Heck für ca. eine Stunde. Dieses Bike war sehr einzigartig und äußerst interessant, vor allem aber war am Dämpfer die Lowspeed Compression offen. Die Freeride Strecke mit ihren vielen Steilkurven wurde so zu einer eher enttäuschenden Abfahrt trotz des unglaublichen Potenzials dieses Rades für diese Strecke. Als ich dann mit meinen 22 Jahren zurück zum Stand fuhr und darauf aufmerksam machte, wurde ich natürlich ignoriert. Der Dämpfer war etwas zu weich, das war richtig und so änderte man nur den Luftdruck. Aber auch bei der zweiten Ausfahrt änderte sich nichts, quelle surprise. Die Federhärte und die Dämpfung müssen einfach zueinander passen, sonst arbeitet beides nicht richtig.

Nun kommen wir zur Highspeed Compression (HSC). Diese Einstellung verlangsamt die Einfedergeschwindigkeit bei hochfrequenten Stößen. Fährt man also über 50% der möglichen HSC, spürt man deutlich dass das Federelement entscheidend weniger Schläge aufnimmt und direkt an den Fahrer weitergibt. Der Grip verschlechtert sich vor allem dann, wenn das Tempo abnimmt. Wenn man auf einem recht ebenen Wurzelfeld mit viel HSC fährt und es dann auch noch nass ist, wird man sich nur schwerlich auf dem Rad halten können. Die HSC hält bei trockenen schnellen Strecken vor allem das Tempo, was allerdings sehr an den Kraftreserven des Fahrers nagen kann. Auf schnellen trockenen Highspeed Rüttelpisten, wie man sie öfter mal im Worldcup antrifft, fährt man dann eine recht schnelle Zugstufe, wenig LSC und sehr viel HSC. Das Bike wird zur Rakete, aber der Körper sollte dementsprechend trainiert sein, sonst geht einem schnell die Puste aus. Nun ein paar kleine Beispiele zum Ende. Auf einer freeridelastigen Strecke wie zum Beispiel in Willingen mit vielen Bremswellen fahre ich recht viel LSC, ein paar Klicks HSC als sonst und eine normale `Wohlfühl`-Zugstufe. Das Rad sagt in Kurven nicht weg und fühlt sich sicher beim Absprung an, die Bremswellen werden durch die geringe HSC nicht so anstrengend für die Hände und doch habe ich immer noch ein paar Reserven, wenn ich einen Table zu weit springe.
Auf der Downhill Strecke hingegen würde ich ganz anders fahren: Bei den vielen offenen Kurven und recht wenigen Anliegern recht wenig LSC, viel HSC, im Dämpfer auch etwas mehr davon und an der Gabel recht offene Zugstufe, am Heck wegen der großen Sprünge ein nicht zu schneller Rebound. Das gilt allerdings für trockene Bedingungen.

Bei nassen Bedingungen fahre ich nicht unbedingt weicher von der Federhärte, wohl aber von der Druckstufe insgesamt. Ein etwas geringerer Reifendruck tut sein übriges und sorgt dafür, dass das Rad am Boden klebt und auch beim rutschen nicht zu unruhig wird. Desweiteren ist mir aufgefallen, dass ich an der Gabel in viel größerem Maß und in viel größerer Relation die Werte verändere als ich das im Heck tue. So ergibt sich ein etwas `unharmonischeres´ Fahrwerk, jedoch verinnerlicht man nach und nach die Dämpfungseinstellungen im Heck in den Beinen, was einem sehr viel Sicherheit geben kann. Doch gerade bei Rennen hilft es, wenn man sich nicht zu sehr aus der Ruhe bringen lässt. Mein erstes Rennen in Tabarz machte mir das unmissverständlich klar. Freitag und Samstag war die Strecke trocken, doch am Samstagabend begann es heftig zu regnen. Am Sonntag war die Strecke nass und ich wurde sehr nervös vor dem Rennlauf. Meine Front war recht flach und das Fahrwerk nicht für Regen eingestellt. Trotzdem riet mir ein erfahrener Bekannter dazu, nicht panisch alles zu verstellen. Und damit hatte er völlig recht. Als ich den Matsch auf der Strecke sah, ließ ich vor dem Start noch etwas Luft aus dem vorderen Reifen. Auf der Strecke merkte ich, dass es zu viel Luft war. Manche Fehler muss man einfach erstmal selbst machen, bis man es richtig versteht.

Noch ein kurzes Schlusswort: Dieses Thema bietet eine riesige Diskussionsfläche und es gibt bestimmt Tutorials und Berichte, die es viel technischer oder anschaulicher vermitteln können als ich es tue. Wenn man sich aber bewusst macht, dass da eine Feder oder Luftkammer zusammengedrückt wird und Öl durch Öffnungen fließt, entmystifiziert man schon einiges in diesem Thema. Die Dämpfung in all diesen Federlementen funktioniert nur über die reine Kolbengeschwindigkeit und keines der angebotenen Systeme bietet eine völlig unabhängig voneinander einstellbare Druck- und Zugstufe. Beeinflussungen sind immer vorhanden, bei manchen Produkten mehr, bei anderen weniger. Es hilft viel darüber zu lesen, aber viel mehr noch es sich selbst zu `erfahren´!


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen